Geschichte

Vor über 80 Jahren eingeweiht: Die evangelische Kirche in Neuenburg am Rhein

GottesdiensteNeuenburgGeschichte„Das Markgräflerland könnte man sich nicht denken ohne die Wälder am Blauen, ohne die Weinberge und üppigen Fluren im Hügelland, ohne die lichte Rheinebene mit dem reißenden Strom und den mächtigen Pappeln, die ihm zu beiden Seiten Spalier stehen. Und ein besonderes Werk von Menschenhand gehört mit hinein in das landschaftliche Charakterbild des Hebel-Landes: die schlichten Kirchen mit den vierkantigen Türmen und dem breiten Satteldach, auf dem gewöhnlich noch ein Storchennest sitzt.
Wie viele mögen es sein von Betberg über „Oetlige“ bis nach „Schopfe“, die wie treue Wächter in ihren Dörfern stehen? Ein neues Gotteshaus ist hinzugekommen, das seinen Turm weit in die Lande schauen lässt: die Neuenburger evangelische Kirche. Zwischengrünen Matten und reifendem Korn ist das Kirchlein emporgewachsen, das morgen eingeweiht werden soll. An der Grenze der Stadt, dort wo die Neuenburger ihre Toten hinaustragen, ist die Stätte der evangelischen Gemeinde geschaffen worden, von der Leben ausgehen soll, das den Tod nicht leidet.“

Soweit aus dem Bericht der Markgräfler Nachrichten vom Samstag, dem 14. Juni 1930 zur Einweihung des evangelischen Gotteshauses in Neuenburg am Rhein. Die Reformation in Deutschland machte auch vor Neuenburg am Rhein nicht halt. Wir wollen diese Zeit kurz streifen. Schon 1522, fünf Jahre nachdem Martin Luther seine Thesen an der Schlosskirche zu Wittenberg angeschlagen hatte, beschloss der Rat der Stadt einen Prediger der neuen Lehre, den ehemaligen Karthäusermönch Otto von Brunfels aufzunehmen. Mit Otto von Brunfels „kam ein Mann von menschlichem und wissenschaftlichem Format“ nach Neuenburg am Rhein. Er nahm Wohnung im Franziskanerkloster, „dessen Mönche nicht nur eine starke Neigung zur neuen Lehre überhaupt, sondern insbesondere auch zu einem freieren Weltleben bekundeten“.

Einer der wohlbekanntesten Neuenburger Franziskaner, der aus der Stadt stammende Dr.Sebastian Meyer, ist durch seine Streitschrift gegen den Bischof von Basel, in Kreisen der Reformation bestens bekannt. 1524 musste Otto von Brunfels auf Verlangen der Vertreter der österreichischen Städte Breisach, Endingen, Waldkirch und Freiburg, die Stadt Neuenburg am Rhein wieder verlassen. Später wurde Brunfels Stadtmedicus in Bern. 1524 erging ein scharfes Edikt der vorderösterreichischen Regierung zu Ensisheim, das jede Betätigung im neuen Glauben unter strenge Strafe stellte. Der Nachfolger von Otto von Brunfelsin Neuenburg, Alexander von Reischach wurde 1535 des Landes verwiesen. Die Reformation in Neuenburg kam zum Erliegen.

Das vorderösterreichische Neuenburg blieb beim katholischen Bekenntnis. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Neuenburg am Rhein zur Grenzstadt. Neue Firmen und Speditionen siedelten sich hier an. Ein großer Güterbahnhof mit Zollhallen für den regen Güterverkehr aus Frankreich wurde gebaut. Die konfessionelle Zusammensetzung der Neuenburger änderte sich. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte die Stadt nur wenig evangelische Einwohner.

Zum Zeitpunktdes Baus der evangelischen Kirche im Jahre 1929/ 1930 waren 150 evangelische Christen hier wohnhaft. Der frühere Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde, Rainer Fangmeier, hat den Kirchenbau anhand der Kirchenbauakten aufgearbeitet. Die Akten beginnen mit einem Spendenaufruf der „kleinen evangelischen Diasporagemeinde Neuenburg am Rhein“ zum Ansammeln der Bausumme „für ein Kirchlein“ aus dem Jahre 1925. In einem Schreiben der Kirchenältesten an den evangelischen Ober-Kirchenrat in Karlsruhe vom 25. Juni 1925 schilderte dieser die misslichen Zustände, unter denen die Gemeinde den Gottesdienst abhalten muss, die nicht „dazu dienen, den Besuch des Gottesdienstes zu vermehren“.

Am 13. Juli 1927 teilte der Evangelische Oberkirchenrat der Gemeinde mit, dass zur Erbauung einer Kirche in Neuenburg 2000 RM als Zuschuss überwiesen werden, und das am „ersten geeigneten Sonntag im Kalenderjahr 1928 eine Landeskollekte für die Erbauung einer evangelischen Kirche in Neuenburg erhoben werden soll“. Im Jahre 1927 wurde schließlich das Baugrundstück von den Eheleuten Erhard Rueb, Fischers Ehefrau Anna geborene Grozinger erworben. Nachdem für den Bau einschließlich der Landeskollekte „rund 16.300 RM zur Verfügung standen, konnte mit dem Bau der Kirche nach den Plänen des Freiburger Architekten Wildmann begonnen werden.

Bereits am 10. November 1929 wurde der Grundstein für die Kirche gelegt:

„Jesus Christus gestern und heute und derselbe in Ewigkeit. – Der Grundstein zu dieser Kirche, deren architektonischer Entwurf ein Werk des Dipl. Ing. B. Wildmann, Architekt in Freiburg ist, deren künstlerische Ausschmückung in Holzschnitzerei und Gemälden Schöpfung des Bildhauers und Malers Joseph Fortwängler, genannt Schnitzersepp in Triberg werden soll, wurde gelegt am 447. Geburtstag D. Martin Luthers, am 10. November 1929. Es war das Jahr, da Paul von Hindenburg des Deutschen Reiches Präsident war;…… . „

Mit der künstlerischen Ausgestaltung der Kirche wurde der aus Triberg stammende Künstler Karl Josef Fortwängler beauftragt. Am 2. Juni 1875 istFortwängler in Triberg geboren worden. Nach dem Besuch der Schnitzereischulen Furtwangen studierte Fortwängler „Kunst“ an der Akademie München. 1930 bezog er sein Atelier in Freiburg. 1960 ist Fortwängler in Freiburg verstorben.Für die Neuenburger Kirche schuf Fortwängler die Steinbildhauerarbeiten überdem Kircheneingang und an den Seitenwänden des Turms, die noch heuteerhalten sind. Auch der Altar und die von vier Figuren getragene Kanzel sind sein Werk.Die „Ölbilder“ Fortwänglers, sind heute leider verschollen. Die Qualität der Kunstwerke, die Fortwänglers für die Neuenburger evangelische Kirche geschaffen hat, waren beim Evangelischen Oberkirchenrat nicht unumstritten und wurden von diesem sehr heftig kritisiert. Fortwängler nimmt hierzu im Juni 1930, neun Jahre vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, in einem Brief Stellung. Der Künstler schreibt u. a.:

GottesdiensteNeuenburgGeschichte1„Während der Einweihung habe ich scharf beobachtet und schwere Gedanken in mir hin und her gerollt. Ich will den Sieg unserer evangel. Kirche! – aber die vielen selbstzufriedenen Gesichter sagten mir, dass die Leute samt den Pfarrern den Vulkan nicht kennen, auf dem wir sitzen. Mein Kirche sollte sich dieser Zeit entgegenstemmen, mit aller Wucht und Wut. Ich habe all das, was ich erfunden habe, nicht in stillen, friedvollen Stunden in mir liebevoll zusammengetragen. Das wäre nicht wahr. Die Auswahl der Bilder für die Wände, die Skulpturen sind das Ergebnis schwerer Kämpfe; meine Nächte sind oft erfüllt von diesen streitenden Überlegungen. „

Die Markgräfler Nachrichten beenden Ihren Beitrag zur Einweihung der evangelischen Kirche in Neuenburg am Rhein:

„Es ist viel Arbeit, sichtbar und unsichtbar geleistet und viele Opfer sind gebracht worden bis das Werk zustande kam. Nun ist der Bau fertig. Möge er zum Segen sein für die evangelische Kirchengemeinde Neuenburg, für Volk und Heimat“.

Zehn Jahre nach der Einweihung der evangelischen Kirche in Neuenburg am Rhein fiel die Stadt in Schutt und Asche. Der Vulkan, von dem der Künstler Karl Josef Fortwängler in seinem Brief im Juni 1930 gesprochen hat, ist ausgebrochen. Eines der wenigen Bauwerke, das den Feuersturm in der Nacht vom 10. auf den ll. Juli 1940 über Neuenburg am Rhein überlebt hat, war das am 15. Juni 1930 eingeweihte evangelische Gotteshaus.

(Winfried Studer, Stadtarchiv)